Jörg Rinninsland:
Kunst und Rehabilitation

(Folgender Artikel ist 1998 in der Schriftenreihe Jugendwerk  als Band 2 erschienen)

1. Kunst in der Krankenhausschule

2. Kunsttherapie

3. Standortbestimmung

   3.1. Abgrenzungen
   3.2. Anlehnungen
   3.2.1. Der Kunstbegriff
   3.2.2. Die Arbeitsatmosphäre
   3.2.3. Die Bedeutung von Erfolg und Motivation
   3.2.4. Das nonverbale Kommunikationsangebot
   3.2.5. Die Wahrnehmungsförderung
   3.3. Resümee

4. Didaktisch/ methodische Überlegungen zum Kunstangebot

   4.1. Die Rolle des Lehrers
   4.2. Die Wahl der Materialien
   4.3. Die Ziele des Kunstangebots
   4.3.1. Entspannung und Aggressionsabbau
   4.3.2. Motivationsaufbau über erste Erfolge
   4.3.3. Malen als nonverbale Ausdrucksmöglichkeit
   4.3.4. Training neuropsychologischer Teilleistungen
   4.3.5. Selbständigkeit und das Training motorischer Fertigkeiten
   4.3.6. Talentförderung und Wissensvermittlung

5. Präsentationen

   5.1. Das positive Selbstkonzept
   5.2. Geschenke für Zuhause
   5.3. Die Treppenhaus-Galerie der Rehabilitanden
   5.4. Die PATZ
   5.5. Rezeptive Kunsttherapie - die junge Galerie

6. Zwei Zitate als abschließende Notiz

 

Einleitung

Dieser Aufsatz soll meine Erfahrungen der letzten Jahre aus dem Kunstangebot der Krankenhausschule des Jugendwerk Gailingen zusammenfassen. Im ersten, konzeptionellen Teil versuche ich die Wege, Möglichkeiten und Ziele dieses Unterrichtsangebotes darzustellen und gegen Konzepte der Kunsttherapie abzugrenzen. Im praktischen Teil gebe ich meine Erfahrungen mit einzelnen Methoden und Techniken gestalterischer Arbeit mit Rehabilitanden wieder. Ich versuche dort möglichst detailliert darzustellen, was sich bei uns bewährt hat und wie auch mit bescheidenen Mitteln sinnvolle Arbeit gelingen kann. Daher ist dies vor allem auch ein Aufsatz, mit dem ich Mut machen möchte. Es soll deutlich werden, dass man weder eine besondere Ausbildung im Fach Kunst noch hohe künstlerische Begabung einbringen muss, um mit Rehabilitanden sinnvoll die Möglichkeiten der Kunst in der Rehabilitation zu nutzen.
Ich möchte an dieser Stelle nicht unerwähnt lassen, dass es mir nicht leicht viel, alle Rehabilitandinnen, Lehrerinnen, Ärztinnen und viele mehr in den sprachlichen Formeln nicht explizit zu erwähnen. Sie sind natürlich jeweils auch angesprochen oder gemeint. Bei der Abwägung des Für und Wider entschied ich mich jedoch für eine klarere, weil straffere sprachliche Darstellung - dies natürlich um den Preis dieser Unhöflichkeit. Ich bitte alle Betroffenen um Nachsicht.  

1. Kunst in der Krankenhausschule

Bei der Rehabilitation von schädelhirnverletzten Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen spielt die Schule eine wichtige Rolle. Viele der Rehabilitanden waren vor den traumatischen Ereignissen Schüler und verbinden eine erfolgreiche Rehabilitation - auch im eigentlichen Sinne des Wortes - mit ihrer Rückkehr in die alte Schule.
Die Krankenhausschule des Jugendwerk Gailingen mit einem Kollegium von mehr als 30 Lehrkräften versucht mit einem hoch differenzierten Unterrichtsangebot, möglichst für jeden Rehabilitanden eine für ihn optimale Form der schulischen Förderung zu finden. Das Spektrum der äußeren Differenzierungen reicht von lebenspraktischem Unterricht mit geistig Behinderten und Einzelförderungen bis hin zum lehrplanorientierten Klassenunterricht in den Kernfächern Deutsch, Mathematik und Englisch. Schulische Förderung ist jedoch nur ein Aspekt in der Rehabilitation von hirnverletzten Kindern und Jugendlichen. So wird in interdisziplinären Teams immer wieder die optimale Abstimmung der einzelnen therapeutischen Bereiche für den jeweiligen Rehabilitanden gesucht. Schulische Förderung sucht hier ihren Platz jedes Mal neu neben Krankengymnastik, Ergotherapie, Logopädie, aber auch Psychologie, Berufstherapie, Sport und verschiedenen Belastungs- bzw. Arbeitserprobungen.
Als Ergänzungsangebot hat sich im Fächerkanon der Krankenhausschule seit vielen Jahren das Fach Kunst neben dem lehrplanorientierteren Kunstunterricht in den Grund- und Hauptschulgruppen etabliert. In zwei kleinen, nicht spezifisch als Kunstwerkstätten ausgestatteten Räumen werden von zwei Lehrern wöchentlich 22 Unterrichtsstunden "Kunst" angeboten. Die hier teilnehmenden Rehabilitanden werden zumeist in Kleingruppen von zwei bis drei Personen betreut. Auf das vorhandene Altersspektrum vom Grundschulkind bis hin zum jungen Erwachsenen wird bei der Zusammenstellung der Kleingruppen Rücksicht genommen. Der größte Teil der teilnehmenden Rehabilitanden besucht den Kunstunterricht ein- bis zweimal wöchentlich für eine Schulstunde. Nur ausnahmsweise erhalten Rehabilitanden mehr als 4 Wochenstunden Kunst.

 

2. Kunsttherapie

Es erscheint mir sinnvoll, zunächst kurz darzustellen, welche Inhalte in der Fachdiskussion unter Kunsttherapie verstanden werden. Erst vor diesem Hintergrund kann eine klare Einordnung der schulischen Arbeit im Unterrichtsangebot "Kunst" gelingen.
Die Kunsttherapie ist eine noch wenig etablierte Therapieform. Vielfältige Ansätze und Einsatzgebiete sind im Entstehen. Grundsätzlich ist die Kunsttherapie "der Versuch, mit bildnerischen Mitteln Zugang zur individuellen Geschichte der Patienten zu finden, mit dem Ziel, Konflikte aufzudecken, sie sichtbar und so einer bewussten Bearbeitung zugänglich zu machen" (Thomas 1996, 17). Die Kunsttherapie hat ihre Wurzeln in der Psychotherapie und hier vor allem in der Behandlung depressiver und schizophrener Patienten. In den letzten Jahren kamen Patienten in seelischen Ausnahmesituationen hinzu, zu denen man durchaus auch Patienten in der Rehabilitation nach erworbenen Hirnschäden zählen kann.
Obwohl sich immer wieder sehr eindrucksvolle Erfolge in der v.a. psychiatrischen Behandlung von ganz verschiedenen seelischen Störungsbildern belegen lassen, ist die Kunsttherapie in ihren Wirkungsweisen noch wenig erforscht und theoretisch kaum fundiert. Die fachliche Diskussion bemüht sich nach Schuster (1993) zu wenig um Integration der einzelnen Beobachtungen und Ergebnisse in Sinne eines allgemeineren Konzepts. Ansätze ergeben sich aus den verschiedensten Denkschulen der Psychologie und Psychiatrie und es scheint nach Kraus (1996, 9) im Moment noch fast so viele Kunsttherapien zu geben wie es Kunsttherapeuten gibt.
Um eine ungefähre Vorstellung der Arbeit von Kunsttherapeuten zu gewinnen, seien hier - gewissermaßen exemplarisch - einige Aspekte der vielen Methoden genauer dargestellt. In der Tradition der Psychoanalyse steht zum Beispiel die Nutzbarmachung von unbewussten Inhalten wie Träumen, um an die Wurzeln von Ängsten, Psychosen oder Neurosen zu gelangen. Dies in der Hoffnung, sie positiv zu beeinflussen. Während der Traum die Hauptstraße zum Unbewussten ist, scheint die bildnerische Gestaltung eine benutzbare Nebenstraße zu sein, die auch noch einige Vorzüge aufweist: Der Therapeut kann z.B. in die bildhaften Prozesse eingreifen, und die bildnerischen Produkte stehen dauerhaft zur Verfügung (Schuster 1993). Wichtig für das Entstehen von aussagekräftigeren Zeichnungen ist eine sehr entspannte Atmosphäre, in der so etwas wie Tagträume entstehen können. Diese bildnerischen Inhalte sollten ohne große Kontrolle durch rationale Bewusstseinsinstanzen gewissermaßen aus dem Bauch direkt durch die Hand auf das Papier fließen und nicht erst durch eine Umleitung durch den Kopf gefiltert und korrigiert werden. Bildhafte Speicherungen können direkt und in nonverbaler Form mitgeteilt werden. Das entstandene Material kann dann Aufhänger für Gespräche zwischen Therapeut und Klient sein, in denen der Therapeut vorsichtige Deutungen anbietet. Kunsttherapie besteht in den meisten Fällen in einem Wechsel von bildnerischer Gestaltung und verbaler bewusster Verarbeitung, so Schuster. Sinnvoll erscheint der nichtdirektive Umgang mit den bildnerischen Gestaltungen, bei dem sich der Therapeut darauf beschränkt, den Gestaltungsvorgang einfühlend zu kommentieren. "Ein Teil des Misstrauens, das der psychoanalytischen Theorie und Therapie entgegengebracht wird, resultiert aus vorschnellen Deutungen nach relativ starren Mustern" (Schuster 1993, 28). "Die nichtdirektive Aufnahme von Emotionen während der Gestaltung und Äußerungen zu den Gestaltungen sind sicher besonders bei Kindern und Jugendlichen angezeigt, die eine fortlaufende verbale Interaktion - wie die Gesprächstherapie es fordert - nur unter Schwierigkeiten aufrechterhalten können. Gerade die nicht lenkende Aufmerksamkeit und das Interesse des Erwachsenen während der Gestaltung sind geeignet, ein Vertrauensverhältnis zwischen Therapeut und Klient entstehen zu lassen. Erst in diesem Vertrauensverhältnis wird das Kind oder der jugendliche Klient zu den Inhalten gelangen, die für es oder ihn problematisch und angstbesetzt sind" (Schuster 1993, 56).
Als Ausgangspunkt für das therapeutisch genutzte bildnerische Gestalten eignen sich vor allem thematische Vorgaben, die eine besondere symbolische Vielfalt möglich machen. So sind Themen wie Male eine Wiese, einen Bachlauf, oder ein Haus durch ihre offene Aufgabenstellung und die vielen Variablen oft sinnvoll. Der Gestaltende ist beim Darstellen z.B. eines Hauses ständig gezwungen, Gestaltungsentscheidungen zu treffen, die meist unbewusst ablaufen. Welche Größe haben die Fenster, welche Farben kommen zum Einsatz, in welchen Proportionen stehen die Dinge zueinander, wie ist die Raumaufteilung auf dem Blatt, welche Details werden dargestellt, welche nicht, welches Wetter herrscht und vieles mehr muss entschieden sein, um gemalt werden zu können. Hier bieten sich Anlässe für erste Gespräche. Stehen Rollenkonflikte, Beziehungsprobleme oder Verhaltensauffälligkeiten im Mittelpunkt des therapeutischen Interesses, so kann es aufschlussreich sein, die eigene Familie in der Gestalt verschiedener Tiere darzustellen oder einfach auch nur im Sinne eines Gruppenbildes zu porträtieren.
In Ermangelung einer grundlegenden Theorie stellt Schuster (1993, 165ff) empirisch gewonnene Wirkungsannahmen der Kunsttherapie zusammen, die seiner Meinung nach im Einzelnen noch zu prüfen wären.

  1. Kunsttherapie stimuliert die Kreativität und wirkt so auf die "relative" Kreativität der Lebensführung.
  2. Kunsttherapie gibt dem Klienten das Vertrauen, etwas schaffen zu können.
  3. Durch das bildhafte Tun werden kreative Prozesse des Unbewussten in den Dienst der seelischen Gesundung gestellt.
  4. In der Kunsttherapie werden die "bedeutungsvollen" Erinnerungen bildhaft aktiviert; dabei gelingt ein unmittelbarer Kontakt zu den beteiligten Emotionen.
  5. Die bildhafte Kommunikation hat ein Format, das von einer wichtigen regulierenden Instanz, je nach Terminologie, dem Unbewussten oder der rechten Gehirnhälfte verstanden wird. So kann auch in diese Prozesse eingegriffen werden.
  6. Die bildhafte Kommunikation der Kunsttherapie ist vermutlich mehr als die verbale Interaktion vieler Psychotherapien geeignet, Körperprozesse zu beeinflussen.
  7. In der Kunsttherapie werden die Speicherungen und Gedanken der rechten Gehirnhälfte mit den rationalen Möglichkeiten der linken Gehirnhälfte bearbeitet. So können Programmdifferenzen vermieden werden.
  8. Wichtige Bedingung für die Wirksamkeit der Kunsttherapie ist die Herstellung des Kontakts zu den inneren Bildprozessen.
  9. Möglicherweise können durch die Aktivierung des bildhaften Denkens kreative Potentiale der Menschen geweckt werden, die sich dann in den Dienst eines gesunden Seelenlebens stellen.
  10. Die Kunsttherapie verfügt im Kunstschaffen der Jahrhunderte über bildhafte Verwirklichungen von Mythen und religiösen Gedanken. Beim Einsatz dieses Materials kann sie zu den bildhaften Keimen von Speicherungen vordringen, die die Anpassungen des einzelnen gefährden.

Quester/Lippert-Grüner (1996) berichten von den Untersuchungen einer Arbeitsgruppe am neurochirurgischen Rehabilitationszentrum der Universität Köln. Geprüft wird dort, "ob die Einbeziehung der Kunsttherapie bereits in die akutstationäre Versorgung im Sinne einer Krisenintervention einsetzbar ist. Während des gesamten Rehabilitationsprozesses von Hirngeschädigten soll gleichzeitig untersucht werden, ob kreative Gestaltungsmöglichkeiten einen positiven Einfluss auf die persönliche Entwicklung in der Krankheit haben". Die Kunsttherapie erwies sich nach von Quester/Lippert-Grüner gemachten Verlaufsbeobachtungen "als sinnvolle Ergänzung der rehabilitativen Behandlung, die die Patienten häufig mit ihrer eigenen Unselbständigkeit konfrontiert. Die Therapie bot eine Selbsterfahrungsmöglichkeit in der Auseinandersetzung mit eigenen Ideen, Phantasien und Gefühlen wie Ängsten und Hoffnungen" (Quester/Lippert-Grüner 1996, 1f). Die Heilpädagogin B. Wichelhaus bestätigt die ärztlichen Erfahrungen und ergänzt, dass die durch die ästhetischen Prozesse ausgelösten sinnlichen Empfindungen entscheidend zur Restitution eines ganzheitlichen Körperbildes beitragen können, das wesentlich für das psychische Gleichgewicht, den psychischen Halt eines Patienten ist, insbesondere dann, wenn er sich mit den körperlichen und geistigen Schädigungen seiner Krankheit konfrontiert sieht (Wichelhaus 1996, 12).
"Kunst wirkt, auch therapeutisch" merkt der Psychiater Norbert-Ullrich Neumann an (1996, 163) und verweist auf eine regelmäßige Überschätzung der Bedeutung von Sprache, Worten und Begriffen für Kommunikation, Erleben und innere Ordnung. "Nur etwa zehn Prozent dessen, was im Gehirn vor sich geht, läuft auf der Begriffsebene, in sogenannten verbalen Prozessen. Was die Menschen wirklich bewegt, sie handeln und entscheiden läßt, das sind vor allem Empfindungen, Gefühle, Bilder. ... Das innere Bild, ebenso wie das sichtbare, steht der Ursprünglichkeit des Gefühls viel näher als das Wort. Das Wort kann wahr oder falsch sein. Das erlebte Gefühl - im Unterschied zum gezeigten, das gespielt sein kann - ist immer wahr, und es ist mächtig, mächtiger als das Wort. Darum ist das Bild - auch als therapeutisches Mittel - so wichtig, weil es dem Gefühl so nahe steht" (Neumann 1996, 164). 

3. Standortbestimmung

Das im formalen Rahmen der Einzelförderung organisierte Kunstangebot der Krankenhausschule legt die Annahme nahe, dass hier Kunsttherapie angeboten werde, da ja in jedem Fall künstlerisch mit den Rehabilitanden gearbeitet wird und v.a. in der Einzelförderung der Krankenhausschule sonderpädagogische und therapeutische Merkmale kaum noch zu trennen sind. Eine differenziertere Betrachtung ist also wichtig.

3.1. Abgrenzungen

Eines ist klar: Die Schule, auch die Krankenhausschule des Jugendwerk Gailingen ist kaum in der Lage, in eigentlichen Sinne psychotherapeutisch mit den Rehabilitanden (z.B. im Sinne einer Kunsttherapie) zu arbeiten. Psychotherapeutisch verstandene Kunsttherapie muss aus ihrer Natur heraus Probleme und Widerstände suchen, sie vorsichtig thematisieren und letztlich überwinden. Dies ist zur Krankheitsverarbeitung natürlich sinnvoll, aber nur dann, wenn therapeutisch in ausreichendem Maß die emotionale Lawine auch aufgefangen werden kann, die u.U. damit ins Rutschen gekommen ist. Möglichst tägliche Termine in Einzelbetreuungen sind hier neben hoher psychotherapeutischer Kompetenz unerlässlich. Den Lehrern, auch den Sonderschullehrern fehlen hierzu neben den dazu notwendigen Qualifikationen vor allem die geeigneten Rahmenbedingungen.
Dies bedeutet jedoch nicht, das psychotherapeutisch motivierte Kunsttherapie im Rahmen der gesamten Rehabilitation von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit erworbenen Hirnschäden nicht sinnvoll sein kann. "Durch den plötzlichen Verlust ihrer gewohnten Normalität stellen sich den Betroffenen Fragen nach dem Sinn und Zweck des Seins und den weiteren Zukunftsperspektiven" (Lippert-Grüner/Quester 1996, 4). Kinder und Jugendliche haben nach schwereren erworbenen Hirnschäden in besonderem Maße mit Krisen ihres Selbstkonzeptes zu kämpfen, hatte sich doch - je nach Alter - das eigentliche, das prätraumatische Selbstkonzept selbst noch gar nicht voll und tragfähig etabliert. In Zeiten der Pubertät gerade auf der Suche, welche Rolle mit welchen Fähigkeiten man Willens und in der Lage ist, in der Gesellschaft zu spielen, zerstört ein Unfall in Augenblicken jede schon vorhandene Ordnung der Motive. Es ist nur zu verständlich, dass auch offensichtliche Schwierigkeiten, Ungereimtheiten zwischen Wollen und Wirklichkeit, zwischen alten Zukunftsplänen und neuen Zukunftsmöglichkeiten oft von den Rehabilitanden tabuisiert bzw. ins Unbewusste "ausgelagert" und nicht wahrgenommen werden. Ergebnis dieser Lebens- und Erlebenssituation ist zunächst die allgemeine Abwehr von Leistungsanforderungen, unmotiviertes Teilnehmen an Therapien und Unterricht, Opposition bis hin zu destruktivem Verhalten und offener Provokation. Hier könnte ein Kunsttherapeut wertvolle Dienste bei den Bemühungen um einen gelungenen Start der Rehabilitanden in ein doch in verschiedenen Bereichen möglicherweise deutlich verändertes Leben leisten. Wie die seit einiger Zeit im Jugendwerk Gailingen für den Bereich der Frührehabilitation etablierte Musiktherapie könnte die Kunsttherapie eher im späteren Verlauf der Rehabilitation sinnvoll sein. Dies vor allem in einer Phase der Rehabilitation, in der der Rehabilitand mit konkreten Plänen für sein berufliches und auch alltägliches Leben nach Abschluss aller Rehabilitationsbemühungen konfrontiert wird und aufgefordert ist, diese zu akzeptieren. Dieser Weg zurück in einen neuen Alltag, "aus dem vielfach mit Ängsten und Unsicherheiten erfüllten Dasein in der Erkrankung, erfordert von den Betroffenen sehr viel Kraft, Willensstärke und Bereitschaft zur Veränderung. Mit der Genesung weitet sich der Blick auf das Selbst und die Umwelt. Bilder werden so zu einer Chance, um eine neue Art des Austausches mit sich und der Umwelt zu erreichen" (Lippert-Grüner/Quester 1996, 11). 
Die Krankenhausschule kann diese sinnvolle Arbeit einer Kunsttherapie kaum leisten. Dennoch gibt es Aspekte in den kunsttherapeutischen Ansätzen, in denen sich das Kunstangebot der Krankenhausschule des Jugendwerk Gailingen wiederfindet. Es wird deutlich, dass mit dem Kunstangebot der Krankenhausschule eine Synthese von Kunstunterricht im schulischen Sinn und einer auch psychotherapeutisch motivierten Kunsttherapie versucht wird. 

3.2. Anlehnungen

Durch das Arbeiten unter ähnlichen Bedingungen mit gleichen Mitteln und mit oft vergleichbaren Klienten kommt es fast zwangsläufig zu starken Verwandtschaften in den Konzeptionen. An einigen zentralen Punkten möchte ich hier darstellen, an welchen Stellen sich das Kunstangebot der Krankenhausschule und Konzepte der Kunsttherapie berühren, sich gegenseitig stützen und sogar weiterhelfen.

3.2.1. Der Kunstbegriff

Wenn das Wort Kunst im Titel des Angebots erscheint, dann scheint es von zentraler Bedeutung zu sein. Aber über Kunst läßt sich trefflich streiten und so ist es zunächst wichtig, sich über den gemeinten Kunstbegriff einig zu sein.
Der Kunstbegriff ist subjektiv. "Die Reaktion von Menschen auf Kunstwerke sind individuell verschieden. Die Bewertung erfolgt gewöhnlich auf der Grundlage biographischer Erfahrungen und kulturell vermittelter Wissensstrukturen. ... Der Kunstbegriff ist natürlich erlernt, wahrscheinlich von den Eltern, und hat also selbst ein gewisses Alter. Seine Wurzeln dürfen wir in den verschiedenen Kunstdefinitionen der vergangenen Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte suchen, denn die Eltern haben ihren Kunstbegriff von den Großeltern übernommen usw. Nur solche Menschen, die sich speziell mit Kunst und besonders mit zeitgenössischer Kunst beschäftigen, kommen in den Kontakt mit dem - oft auch nur implizit formulierten - Kunstbegriff der Gegenwart." (Schuster 1997, 14).
Der Kunstbegriff früherer Jahrhunderte, der Kunst in enge Beziehung mit handwerklicher Geschicklichkeit und edlen, positiv wirkenden und gegenständlich naturalistisch dargestellten Inhalten setzte, ist heute noch allgegenwärtig. Kunst kommt von Können, so heißt es oft und soll sagen, dass ohne Begabung kombiniert mit handwerklichem Sachverstand nichts so recht Kunst sein kann. Anders gesagt bedeutet diese Haltung, dass ein Bild ja keine Kunst sein kann, wenn man als Durchschnittsmensch es auch hätte malen können. Als Beispiel seien hier die monochromen blauen Tafeln wie "IKB 3" von Yves Klein aus den frühen 60er-Jahren genannt. "Das kann doch jeder !" wird vor nicht akzeptierten Kunstwerken oft gesagt als Beweis dafür, dass es keine Kunst sei.
Auch Rehabilitanden besuchen das Kunstangebot der Krankenhausschule zunächst oft in der Haltung, das Kunst schön und gekonnt sein muss. Einfach nur so ein Bild malen sei keine Kunst. Die Kunsttherapie begegnet diesem unangenehmen, weil blockierenden Leistungsdruck vor allem dadurch, dass sie den Patienten gegenüber immer wieder darauf hinweist, dass weniger das fertige Bild zählt als vielmehr der Entstehungsprozess, das bildnerische Gestalten. Ein weiterer, von Schuster (1993, 159) erwähnter Aspekt ist jedoch in der Krankenhausschule viel wertvoller: "Die Anerkennung der abstrakten Malerei ermöglicht es auch dem Hobbymaler ohne technische Fertigkeiten, schöne und akzeptierte Gestaltungen zu erreichen. Insofern hat die Entwicklung der modernen Kunst erst die Möglichkeiten einer breiteren Hobbymalerei ermöglicht." Das "therapeutische" Malen nutzt hier Sichtweisen der modernen Kunst, aber auch umgekehrt nahm die moderne Kunst auf "therapeutische" Kunstwerke Bezug. Auf die Wechselwirkungen zwischen der modernen Kunst und ‘Der Bildnerei von Geisteskranken’ (so der Titel eines 1922 veröffentlichten Buch von Hans Prinzhorn) weist Thomas (1996, 16f) hin. "Für Paul Klee, Max Ernst, André Breton, Alfred Kubin und vor allem für den Franzosen Jean Dubuffet wurde die Sammlung Prinzhorns, die Einblicke in die Prozesse unmittelbarer Kreativität ermöglichte, zu einem Vorbild für das eigene künstlerische Schaffen. Für Dubuffet sollte Kunst ohne Vorbildung, aus der spontanen Arbeit mit dem Material heraus entstehen. Seine Konzeption von "art brut" veränderte die Kunst seit dem Ende der vierziger Jahre durchgreifend."
Auch der erweiterte Kunstbegriff von Joseph Beuys ist hier letztlich hilfreich. Er stärkt zusätzlich den Rücken von gestaltenden Laien, oder besser gesagt, von nicht-professionellen Künstlern. "Wenn Beuys sagt, dass jeder Mensch ein Künstler sei, dann meint er damit nicht, jeder Mensch sei ein Maler oder ein Bildhauer. Er meint vielmehr, dass jeder Mensch kreative Fähigkeiten besitze, die anerkannt und ausgebildet werden müssen" (Stachelhaus 1987, 79).
Die Ansätze der Kunsttherapie und das Kunstangebot der Krankenhausschule beziehen sich auf den gleichen Kunstbegriff. Es geht da wie dort nicht um die hehre Kunst, die in Museen hängt und den Hauch von Luxus und Genialität hat, es geht um den Künstler in uns allen, der einfach nur gestaltet, gerade so wie er kann und es für richtig hält. Übersetzt in den Alltag der Schule bedeutet dies: "Du bist der Künstler, deine Entscheidung gilt. Ich als Lehrer kann dir allenfalls Tipps geben oder Tricks verraten. Was du nutzen willst, ist dir überlassen."

3.2.2. Die Arbeitsatmosphäre

Das Schaffen einer entspannten Atmosphäre ist wie in der Kunsttherapie auch im Kunstangebot ein wichtiger Faktor. In der Krankenhausschule geht es neben der Nutzbarmachung verborgener kreativer Kräfte auch darum, die Klischees von Schulunterricht zu durchbrechen, die mit Leistungsorientierung, Bewertungsdruck und Lehrplanorientierung der Wege und Ziele umschrieben werden können.
Ich bin der Künstler, meine Entscheidung gilt! Dies ist eine Erfahrung, die für einen Schüler nicht so selbstverständlich ist. Auch ein Rehabilitand lernt schnell, dass die Therapeuten ihm dabei helfen, seine Defizite abzubauen. Sie korrigieren die Fußstellung, die Körperhaltung, sie korrigieren Fehler in der Bedienung von Werkzeugmaschinen genauso wie Fehler bei der Artikulation bestimmter Laute. In der Schule gibt es oft auch nur zwei Möglichkeiten, nämlich die Richtige und die Falsche. Und der Lehrer entscheidet, was richtig ist.
Es wird von vielen Rehabilitanden als fast befreiend erlebt, dass sie im Kunstangebot nicht wie in großen Teilen des Rehabilitationsalltags verbessert werden. Sie können etwas wagen, ohne Misserfolge in der Gestalt falscher Lösungen zu riskieren. In ihrer Kunst soll alles möglich sein, wenn sie es nur wollen. Dies entspannt die Einstellungen und damit die Atmosphäre spürbar.
Ein weiterer Aspekt ist die entspannende Wirkung von Musik während des Kunstangebots. So läuft immer dann Musik leise im Hintergrund, wenn alle Anwesenden einverstanden sind und keine Gegenindikationen wie z.B. die Reizoffenheit einzelner Rehabilitanden vorhanden sind. Auch sind Rehabilitanden aufgefordert, eigene Musik in Form von Kassetten oder CDs mitzubringen, die unter den gleichen Bedingungen gespielt werden können. Vor allem diese Möglichkeit verhilft vielen Rehabilitanden zu einem fast behaglichen Gefühl des Zuhause-Seins im Unterricht. Ein ganz persönlicher Akzent prägt die gesamte Stimmung im Raum. Auch eignet sich die Musikbegleitung dazu, gedankenversunken in der Gestaltung der Arbeiten zu sein und so durch die Nutzung unmittelbarer Kreativität eher zu ganz unerwarteten Ergebnissen zu kommen. Das Vergessen von Raum und Zeit im Vertieftsein in die Arbeit bedeutet immer wieder auch eine spürbare Steigerung von Einsatz und Ausdauer bei der Arbeit.

3.2.3. Die Bedeutung von Erfolg und Motivation

Schuster erwähnt in seiner zweiten Wirkungsannahme, dass Kunsttherapie den Klienten das Vertrauen gibt, etwas schaffen zu können. Dieser Aufbau von Erfolgszuversicht ist ein wesentlicher Faktor sowohl der Kunsttherapie wie auch des Kunstangebots der Krankenhausschule.
Erreicht werden kann diese Erfolgszuversicht vor allem auch über die Art des Umgangs mit den Rehabilitanden und ihren Produkten, der Parallelen zum nichtdirektiven Ansatz der Kunsttherapie zeigt. Schuster (1993, 53ff) schreibt darüber, dass hier der Therapeut sich darauf beschränkt, den Gestaltungsvorgang einfühlend zu kommentieren. Das nicht lenkende Interesse des Therapeuten/Lehrers für die gestaltende Arbeit stärkt das Vertrauensverhältnis zwischen Rehabilitand und Lehrer. Diese emotional positive Beziehung führt zu einer psychischen Stärkung des Rehabilitanden und gibt ihm Mut, auch neue Themen oder Techniken auszuprobieren. Erste Erfolge stabilisieren das v.a. nach erworbenen Hirnschäden oft deutlich angeschlagene Selbstwertgefühl und ermöglichen so erst weitere Erfolgsbemühungen und damit Erfolge auch in anderen therapeutischen Bereichen.
Übereinstimmung herrscht auch mit Amend/Ischebeck (1996), die von ihren kunsttherapeutischen Erfahrungen in der Neurochirurgischen Klinik Holthausen berichten: "Während häufig in anderen Therapieformen schmerzlich die Insuffizienzen erlebt werden, können die Patienten hier [ in der Kunsttherapie] entspannen, im Tun loslassen und trotz aller Beschränkungen neue Ausdrucksmöglichkeiten finden. Dadurch wird das Selbstvertrauen gestärkt und das eigene Wertgefühl gesteigert" (Amend/Ischebeck 1996, 15). "Durch die Ausnutzung der vorhandenen kreativen Fähigkeiten scheint nach den vorliegenden Erfahrungen eine adäquatere Krankheitsverarbeitung mit Verbesserung des häufig gestörten Selbstwertgefühls unter Berücksichtigung tiefenpsychologischer Aspekte erreichbar zu sein." so Quester/ Lippert-Grüner (1996, 2) über die Kunsttherapie in der Neurochirurgie der Universität Köln. Schuster (1993) erwähnt die Möglichkeit, dass körperbehinderte, geistig behinderte und verhaltensauffällige Kinder von der Anerkennung ihrer Gestaltungen im Sinne der Kompensation von empfundener Minderwertigkeit profitieren können. "Diese Ausführungen stehen im Widerspruch zu dem oft gegebenen Hinweis, die Schönheit der Gestaltung des Klienten sei weniger wichtig; die Gestaltung solle vielmehr psychisches Material transportieren. Im Verlauf der Therapie seelischer Konflikte ... ist das im allgemeinen richtig. Wenn aber eine Person unter starken Minderwertigkeitsempfindungen oder objektiven Beeinträchtigungen leidet, könnte der Therapeut die ästhetische Seite der Gestaltungen zur Reparation solcher Probleme einsetzen. Künstler konnten durch die Anerkennung Konflikte und auch seelische Spannungen besser ertragen. Diese Form des Umgangs mit der bildnerischen Produktion ist allerdings kaum Bestandteil der heutigen Therapiepraxis" (Schuster 1993, 36).
Im Kunstangebot der Krankenhausschule ist dies jedoch einer der wesentlichsten Bestandteile der Konzeption. Nichts ist so erfolgreich wie der Erfolg, so lautet ein geflügeltes Wort. Erste Erfolge sind vor allem zu Beginn der Rehabilitationsbemühungen am ehesten im offenen Feld der künstlerischen Gestaltungen möglich und können hier den Startpunkt einer Erfolgsspirale nach oben markieren. Es müssen Themen und Techniken gewählt werden, bei denen Erfolge wahrscheinlich werden. Der Erfolg im Unterricht sollte dann umgemünzt werden in allgemeinere soziale Anerkennung. Dies kann jedoch nur durch die gezielte Präsentation der geschaffenen (Kunst-)Werke erreicht werden. Hierauf soll im Folgenden noch genauer eingegangen werden.

3.2.4. Das nonverbale Kommunikationsangebot

Kunsttherapie wie Kunstangebot sehen die Chancen, die im bildnerischen Gestalten gerade für sprachlich eingeschränkte Rehabilitanden liegen. "Der bildnerische Ausdruck stellt eine wichtige zusätzliche (manchmal auch nur die einzige) Möglichkeit der Kommunikation und Interaktion dar. Eingeschränkte oder ausgesetzte verbale Kommunikation, z.B. durch funktionale Störungen oder psychische (traumatische) Reaktionen auf die durch die Erkrankung ausgelösten Krisen, können so "ersetzt" werden. Therapeutische Intervention ist dadurch noch gegeben. ... Beeinträchtigte Sozialisationsprozesse können dadurch wieder "angestoßen" werden" (Wichelhaus 1996, 12).
Die Zahl aphasisch oder stark dysarthrisch sprechender Rehabilitanden ist im Kunstangebot verhältnismäßig hoch. Immer wieder ist die intellektuelle Leistungsfähigkeit den sprachlichen Möglichkeiten der Rehabilitanden weit voraus und eine verbale Auseinandersetzung für sie mit der sozialen Umwelt entsprechend unbefriedigend bis frustrierend. Wie in der Kunsttherapie können diese Rehabilitanden auch im Kunstangebot auf nonverbalem Wege erst richtig zeigen, was sie tatsächlich denken, wissen und können. Über bildnerische Darstellungen als Kern der Interaktion - ergänzt dann durch Verbalisierungen des Lehrers - gelingen Aussagen wesentlich differenzierter als ohne gestalterische Möglichkeiten. Auch Quester/Lippert-Grüner kommen zu diesem Ergebnis: "Nach den vorliegenden Erfahrungen führt beispielsweise die Integration bildnerischer Ausdrucksmöglichkeiten, in erster Linie bei Sprachstörungen (Aphasien), zu einer wesentlich erweiterten Unabhängigkeit infolge einer verbesserten Kommunikationsgabe, die eine Auseinandersetzung mit der Umwelt fördert" (1996, 2).
Bei Kindern kommt ein weiterer Aspekt hinzu. Ihre sprachlichen Fähigkeiten sind möglicherweise gar nicht entscheidend eingeschränkt, wohl aber ihre Belastbarkeit bzw. Konzentrationsfähigkeit. Auch hier ist eine fortdauernde verbale Interaktion oft nicht ausreichend möglich. Das Gestalten von Bildern bietet hier ebenfalls eine Alternative, über die sich diese Rehabilitanden äußern können.

3.2.5. Die Wahrnehmungsförderung

Deckungsgleich sind die Erwartungen von Kunsttherapie und Kunstangebot an das künstlerische Gestalten im Bereich der Entwicklungsförderung. Schuster (1993) spricht davon, dass sich die Kunsttherapie hier besonders bewährt habe. "Der Nutzen der zeichnerischen Gestaltung liegt bei Kindern u.a. in einem kognitiven Training. Die Gliederungsfähigkeit der Wahrnehmung sowie das Objektschema der verschiedenen Darstellungsinhalte und das räumliche Vorstellen werden gelernt bzw. gefördert. ... So könnte es sich der Kunstunterricht als Kunsttherapie zur Aufgabe machen, die Entwicklung von Sonderschülern zu fördern. Die dort gestellten Aufgaben sollten durch geringe Forderungsdiskrepanzen Erfolgserlebnisse ermöglichen" (1993, 79f). Richter (1984) will mit einem derartigen Einsatz der Kunsttherapie anderen Therapiemöglichkeiten oder auch der sachorientierten Arbeit zu einer Erfolgsgrundlage verhelfen. Seiner "pädagogischen Kunsttherapie" räumt er den Stellenwert einer allgemeinen Didaktik v.a. für Förder- und Körperbehindertenschulen ein.
Amend/Ischebeck (1996) berichten davon, dass die Kunsttherapie zusammen mit der Musiktherapie in der Neurochirurgischen Klinik Holthausen integraler Bestandteil des Therapieansatzes ist. Schwerpunkt ist das Training von Wahrnehmungsprozessen. "Bei komplexen geometrischen Zeichnungen wird das Erfassen der Orientierung im Raum und das Verhältnis von Zentrum und Umkreis geübt. Das Ordnungsprinzip der geometrischen Zeichnungen fördert exaktes Wahrnehmen und konzentrierte Gedankenführung, bietet Halt und Struktur. Innerhalb der gegebenen Gesetzmäßigkeiten ist eine eigene Gestaltung möglich. Wird das Zeichnen einzelner Linien zur Fläche verdichtet, eröffnen sich die Gestaltungsmöglichkeiten der Hell-Dunkel-Zeichnung. Der Patient befindet sich beim Zeichnen im Spannungsfeld der Auseinandersetzung von Licht und Dunkelheit. Zwischen schwarz und weiß gibt es vielfältige Durchdringungen und Schattierungen und Ausgleichsformen. Das Erleben von Licht und Schatten, Studien an Gegenständen und Polaritäten fördern die genaue Wahrnehmung und vermitteln ein Erlebnis der Räumlichkeit" (Amend/Ischebeck 1996, 14). Die von ihnen im Rahmen der neurochirurgischen Frührehabilitation gefundenen Aspekte lassen sich auch für das Kunstangebot der Krankenhausschule des Jugendwerk Gailingen feststellen: " Die Kunsttherapie

3.3. Resümee

Der wesentliche Unterschied zwischen Kunsttherapie und Kunstangebot liegt im Hauptmotiv der Arbeit mit Klienten bzw. Rehabilitanden. Die Kunsttherapie sucht Zugang zum Unterbewussten mit dem Ziel, dort gezielten, therapeutisch motivierten Einfluß zu nehmen. Das Kunstangebot verfolgt als Hauptziel, über das Vermitteln von Erfolgen Selbstwertgefühl, Mut und Motivation zunächst zur eigenen Person wieder herzustellen und damit auch zu der gesamten Rehabilitationsmaßnahme, also letztlich auch zu der neu sich präsentierenden Zukunft. Dieser Unterschied des Leitmotivs wirkt sich vor allem in den gewählten Themenstellungen aus. Diese sind im Kunstangebot enger gefaßt. Sie orientieren sich weniger an gegenständlichen Darstellungen als mehr an allgemeinen, eher dekorativen Gestaltungen, da hier ästhetische Erfolge am einfachsten zu erzielen sind. Die Anerkennung dieser Werke vom sozialen Umfeld der Rehabilitanden gelingt bei entsprechender Präsentation am leichtesten.
Dennoch gibt es viele Gemeinsamkeiten, die sich vielleicht mit Grundhaltungen umschreiben lassen. So teilen Kunstangebot und Kunsttherapie ihren Kunstbegriff weitgehend und damit die Auffassung davon, das Kunst eigentlich für jeden von uns wertvoll ist und sich positiv auf Persönlichkeit und Rekonvaleszenz ausübt. Auch herrscht Übereinstimmung darüber, unter welchen Bedingungen, in welchem Rahmen und in welchem Stil künstlerisches Gestalten eingeführt und weiter begleitet werden sollte, um sich auch innerhalb einer Rehabilitation nutzbringend einzubringen. Das Erkennen der Bedeutung des nicht-sprachlichen Weges zu Erfolgen ist eine weitere Gemeinsamkeit. Das Kunstangebot der Krankenhausschule findet sich auch in folgender Aussage von Thomas (1996, 27) über die Kunsttherapie wieder. "Kunsttherapie ... bedeutet also: Kommunikation, Sichtbarmachen, Selbsterfahrung, Steigerung des Selbstwertgefühls und Selbstvertrauens, Spontaneität, Kreativität, psychomentale Strukturierung. Damit wird das, was sie bewirkt, in abstrakte Begriffe gefaßt. Je öfter wir diese hören und je routinierter wir mit ihnen umgehen, desto mehr laufen wir Gefahr, ihren Sinn nicht mehr zu begreifen. Über rationale Reflexionen entziehen wir uns immer mehr dem Eigentlichen. Das Gefühl hat keinen Zugang mehr zu uns und zu anderen. Aus meiner Sicht liegt hierin eine Ursache dafür, dass sich die Kunsttherapie sowie andere kreativtherapeutische Verfahren und die Wissenschaft so schwer miteinander tun. Kunsttherapie geht den Weg der Sinne und der Hingabe, Wissenschaft den Weg des Geistes und der Abstraktion."
Das Kunstangebot der Krankenhausschule des Jugendwerk Gailingen hat noch eine weitere, zusätzliche Funktion, die von der Kunsttherapie und der bis hierhin diskutierten Auffassung des von Erwachsenen begleiteten Gestaltens weit entfernt liegt. Sie soll der Vollständigkeit wegen an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben. Das Kunstangebot der Krankenhausschule hat die Aufgaben des konventionellen Kunstunterrichts der allgemeinen Schulen im Bedarfsfall natürlich auch zu erfüllen. Immer wieder wählen Rehabilitanden, die an der Krankenhausschule den Hauptschulabschluss ablegen, Kunst als Wahl-Prüfungsfach. Stand am einen Ende des Leistungsspektrums der Aufbau von Selbstvertrauen und Leistungsmotivation als Leitmotiv des Kunstangebots, so ist in diesen Gruppen die lehrplanorientierte Stoffvermittlung zentraler Aspekt des Unterrichts. Natürlich sind die Wirkungsannahmen des kreativen Gestaltens dadurch nicht ungültig geworden. Sie können hier nur nicht mehr in gleichen Maße berücksichtigt und gefördert werden. Im Mittelpunkt der Arbeit in der HSA-Gruppe steht die Leistungsorientierung mit Prüfung und Benotung.

4. Didaktisch/ methodische Überlegungen zum Kunstangebot

Das Kunstangebot der Krankenhausschule ist seiner Natur nach im wesentlichen Förderunterricht. Es baut daher auf den Prinzipien der Einzelförderung auf. Dies bedeutet vor allem die Möglichkeit des individuellen Eingehens auf die Bedürfnisse des Rehabilitanden, ohne dabei durch Benotung Druck ausüben zu müssen. Art, Grad und Auswirkungen der Beeinträchtigungen bestimmen ebenso wie die persönlichen Interessen des Rehabilitanden Aufbau und Struktur des Unterrichtsangebots. Im allgemeinen gelten die Grundsätze, die von Richter 1984 im Sinne einer allgemeinen Didaktik im Rahmen seiner Pädagogischen Kunsttherapie formuliert wurden: Instruktionserhöhung, Komplexitätsreduktion, Individualisierung, verstärkte Zuwendung und die Substitution, also die Anpassung der Inhalte, Wege, Materialien, usw. an die körperlichen oder anderen Einschränkungen der Rehabilitanden.
Der Förderunterricht hat an der Krankenhausschule immer das Ziel, sich überflüssig zu machen. Im Sinne schulischer Rehabilitation wird auf die Gruppenfähigkeit der Rehabilitanden hin gearbeitet. Erst, wenn sie im Klassenunterricht mithalten und profitieren können, ist die Rückkehr in allgemeine Ausbildungsgänge nach der Rehabilitations-Maßnahme möglich. Dieses Ziel trifft für das Kunstangebot nicht ganz zu. Es versteht sich nicht als erste Stufe der Förderung, der weitere in komplexeren Angeboten folgen. Das Kunstangebot steht für sich, kann in jeder Phase der Rehabilitation sinnvoll sein und will die Rehabilitanden auf ihrem Weg stabilisierend begleiten.
Neben Verwandtschaften zur Kunsttherapie möchte ich hier auch kurz auf Parallelen zur Projekt-Methode der Reformpädagogik eingehen, die in der breiteren Öffentlichkeit nur noch in rudimentärer (und inhaltlich entstellter) Form als Projektwochen an fast allen Schulen seit vielen Jahren in Erscheinung tritt. Allgemein versteht sich die Projekt-Methode als eine Form der lernenden Betätigung, die bildend wirkt. Ohne groß auf die ursprünglichen Ansätze von Dewey und Kilpatrick einzugehen, möchte ich hier auf einige zentrale Merkmale der Projekt-Methode eingehen und sie in Beziehung zum Kunstangebot der Krankenhausschule setzen (vgl. auch Duncker/Götz 1984 und Frey 1984). Neben Interdisziplinarität und mehrdimensionalen Lernzielbezügen sind vor allem drei Projektmerkmale auch für uns besonders wichtig:

Mit Umweltbezug ist in der Projekt-Methode umschrieben, dass Lernen am sinnvollsten in Situationen statt findet, die auf die aktuellen Probleme der physischen und sozialen Umwelt der Lernenden bezogen sind. So spielt in der Konzeption des Kunstangebots die Bezugnahme auf die Umwelt der Rehabilitanden eine wichtige Rolle mit dem Ziel der Stützung ihres Selbstwertgefühls und der Anbahnung neuer sozialer Anerkennung. Mit anderen Worten: ein wichtiger Teil des Kunstangebots findet nicht im Unterricht, sondern in seiner Verlängerung in den sozialen Alltag der Rehabilitanden statt. Gemeint ist die Präsentation der geschaffenen Gestaltungen außerhalb des Förderunterrichts.

Die Produktorientierung ist neben der Interdisziplinarität augenfälligstes Merkmal von Lernprojekten. Angestrebt wird die Integration von Lernen und Handeln. Ziel ist die Herstellung eines Produktes (im weitesten Sinne), das zur Verbesserung der physischen und sozialen Umwelt der Schüler beiträgt. Im Kunstangebot kommt man fast nicht umhin, produktorientiert zu denken, da sich alle Bemühungen letztlich um die Kunstwerke und die Art ihrer Verwendung drehen.

Die Generalisierbarkeit der Inhalte fordert einen exemplarischen Charakter der Projekte. Die Themen und die im Unterricht vermittelten Fähigkeiten müssen auf Künftiges und Ähnliches übertragbar sein. Dieses Ziel verfolgt das Kunstangebot in dem Bemühen, Kunst als etwas Alltägliches und von jedem Nutzbares zu vermitteln, was auch im Leben nach der Rehabilitationsmaßnahme z.B. im Sinne psychischer Stabilisierung genutzt werden kann.

Die große Bedeutung der Vermittlung sozialer Kompetenzen innerhalb der Projektmethode kann im Kunstangebot kaum verfolgt werden, da Gruppenarbeit als solche kaum möglich ist. Ein Teilaspekt findet sich dennoch wieder. Es ist das veränderte Verständnis von Lehrersein und Schülersein. Die Projektmethode geht davon aus, dass in Lernprojekten jeder von jedem lernen kann. Die Steuerung der Lernprozesse und die Überprüfung der Lernergebnisse gehen nicht mehr eindeutig vom Lehrer aus. Die Schüler erhalten für das Gelingen der Projekte mehr Verantwortung.
Viele didaktische bzw. methodische Aspekte des Kunstangebots sind schon im Rahmen der Anlehnungen an die Kunsttherapie erwähnt und begründet worden. Hier möchte ich auf zwei zentrale Aspekte näher eingehen.

 4.1. Die Rolle des Lehrers

Das Rollenverständnis des Lehrers im Kunstangebot kann wesentlich zur Entspannung der Situation beitragen. Er sollte sich keinesfalls als der klassische Wissensvermittler geben, sondern vielmehr als ein im Hintergrund wirkender Begleiter der Rehabilitanden auf dem Weg zu gelungenen (Kunst-) Werken. Er ist nur da, wenn er gebraucht wird. Er stellt die Materialien, Techniken und Tipps zur Verfügung. Und der Lehrer arbeitet darauf hin, dass der Rehabilitand seine Pläne und Ideen für die Stunde schon mitbringt. Die gestalterischen Pläne und Ideen des Lehrers sollen möglichst im Hintergrund bleiben.
Wenn bei den Anlehnungen weiter oben der nichtdirektive Ansatz der Kunsttherapie gewissermaßen als Entsprechung zu dem Kunstangebot genannt wurde, so ist dies oft nur eine ideale Leitvorstellung. Natürlich sitzen immer wieder Rehabilitanden vor dem Blatt und sind nicht - einfach so - in der Lage, auch nur anzufangen. Teilweise werden stark strukturierende Hilfen von Lehrerseite unerlässlich. Konsequent nichtdirektives Lehrerverhalten muss dann verlassen werden, wenn Gestaltungsprozesse überhaupt erst in Gang kommen sollen bzw. am Laufen gehalten werden müssen.
Vor allem gilt es immer wieder, Erwartungsdruck abzubauen. Viele Rehabilitanden scheinen in den ersten Stunden im Kunstangebot regelrecht blockiert. Zum einen ist die Konfrontation mit den nun am eigenen Ich erfahrenen Defiziten oder Ängsten wie schon angesprochen eher frustrierend und unangenehm, zum anderen - viel trivialer - ist Kunst in der Schule bei vielen Kindern und Jugendlichen wenigstens immer wieder zweifelhaft emotional besetzt und wird sehr schnell mit Schlagwörtern wie Kinderkram, Wischiwaschi, Gängelung, aber auch mit ungerechter Bewertung, Unlösbarkeit der Aufgaben und der erdrückenden Macht der hehren Kunst verbunden. Dem Lehrer muss hier zunächst die Botschaft gelingen, dass der Rehabilitand als Mensch interessant ist und als solcher auch geschätzt wird. In diesem Zusammenhang sollte das Gelingen von Gestaltungen relativiert werden. Der oben erläuterte Kunstbegriff lässt sich meiner Erfahrung nach recht einfach vermitteln und wird gerne von den Rehabilitanden akzeptiert. Scheinbare Probleme sind dann oft gar keine Probleme mehr.
Der Lehrer kommt dennoch nicht umhin, immer wieder auch inhaltlich helfend einzugreifen. Die entscheidende Frage ist hier, wie viel Hilfe (und im welcher Form) kann ich geben, ohne dass der Rehabilitand am Ende das Gefühl hat, dieses Bild ist gar nicht von mir und aus mir heraus entstanden, die Anteile des Lehrers sind ja wesentlich größer. Hier ist es sehr wichtig, den Rehabilitanden jeweils nur Vorschläge - auch unter Anbieten von Alternativen - zu machen. Tipps zur Verdeutlichung sollten nie im eigentlichen Werk des Rehabilitanden angedeutet bzw. ausprobiert werden, sondern immer auf einem gesonderten Blatt. Die danach vom Rehabilitanden getroffene Entscheidung muss dann gelten, auch wenn es aus Sicht des Lehrers ästhetisch positive Ansätze im Werk vollständig zunichte macht. In diesem Zusammenhang müssen natürlich auch Abbrüche akzeptiert werden, wenn vorsichtige Versuche des Überredens zum Weiterarbeiten an einem Bild keinen Erfolg gehabt haben. Kommentierend sollte der Lehrer jeweils in solchen Phasen positiv herausstellen, dass es die Entscheidung, die Leistung des Rehabilitanden ist, die zum Gelingen des Bildes beigetragen haben.
Bei Rehabilitanden, die durch motorische Einschränkungen wie spastische Lähmungen oder Ataxien in ihrer Feinmotorik so eingeschränkt sind, dass das Stift- oder Pinselhalten kaum gelingt und Linien nur unkontrolliert auf das Blatt geraten, genügen reine Substitutionen nicht mehr. Hier muss der Lehrer selbst sich als Hilfsmittel zur Verfügung stellen, und dies im eigentlichen Sinne dieser Formulierung. Er soll seine Hand dem Rehabilitanden gewissermaßen leihen. Dies ist nicht so einfach, lassen sich doch eigene Angewohnheiten, Sichtweisen, Vorstellungen u.v.m. nicht so einfach abschalten. Wenn der Rehabilitand beispielsweise wünscht, einen schwarzen Vogel bitte oben rechts in den Himmel zu malen, so wird dies ganz unwillkürlich ein Vogel werden, wie ihn sich der Lehrer vorstellt. Die bildlichen Vorstellungen des Rehabilitanden lassen sich nicht so detailliert versprachlichen, wie es in diesem Fall notwendig wäre. Genau dieser Umstand ist ja die Stärke des künstlerischen Gestaltens im therapeutischen Kontext. Eine Kunststunde würde dann zu einer anspruchsvollen Deutschstunde. Das herkömmliche Malen eines Bildes scheidet hier also aus. Gute Erfahrungen haben wir mit Collagen gemacht, da hier die notwendigen Anweisungen präzise genug gelingen, um wirklich den Willen des Rehabilitanden umsetzen zu können. Anweisungen wie "Schneide hier" oder "Klebe da" lassen sich mit zeigenden Gesten verbinden und so eindeutig klären. Auch sollte der Lehrer im Zweifel lieber einmal zuviel nachfragen, wo genau der Schnitt entlanglaufen soll. So kann der Rehabilitand das Gelingen einer Collage gefühlsmäßig ganz auf sich und seine Ideen beziehen, obwohl die tatsächliche Fertigung ein anderer erledigt hat. Größtes Problem für den Lehrer ist auch hier, Entscheidungen der Rehabilitanden zu akzeptieren, die seinem gestalterischen Empfinden nicht entsprechen und das in seinen Augen bis dato gelungene Bild völlig ruinieren.
Ungesteuerte Unterhaltungen, Plaudereien sind mit ein Ausdruck entspannter Atmosphäre. Gespräche dürfen innerhalb der Kleingruppen so geführt werden, wie sie entstehen. Oft ist die Gruppendynamik auf den einzelnen Bettenhäusern Thema unter den jugendlichen Rehabilitanden. Nähern sich die Inhalte psychotherapeutisch relevanten Themen oder Inhalten, so gehe ich als Lehrer - im Gegensatz zum Kunsttherapeuten - nicht weiter darauf ein noch versuche ich, zu intervenieren. Ich signalisiere aber durch mein Zuhören Interesse und zeige durch Wiederholen der geäußerten Inhalte, dass ich verstanden habe. Es kann immer wieder auch angezeigt sein, bestimmte Gesprächsverläufe v.a. in den Gruppen abzublocken, um pathologische Verhaltensweisen nicht weiter zu festigen oder Rehabilitanden zu schützen. In jedem Fall ist diesbezüglich die enge Teamarbeit v.a. mit den betreuenden Psychologen wichtig, in der die gemachten Erfahrungen weitergegeben werden und/oder konkrete Verhaltensweisen für vorhersehbare Gesprächssituationen oder Verhaltensweisen ausgemacht werden können.

4.2. Die Wahl der Materialien

Einen weiteren Schwerpunkt möchte ich auf die Wahl der Materialien setzen. Es ist oben deutlich geworden, dass der Rehabilitand im Kunstangebot die Möglichkeit erhalten soll, sich und seine kreativen Möglichkeiten auch mit dem Ziel anerkannter ästhetischer Gestaltungen zu entfalten. Große Flexibilität ist daher ein wesentliches Merkmal des Kunstangebots, um auch spontan den Ideen und möglichen Meinungsänderungen des Rehabilitanden Rechnung tragen zu können. Flexibel kann ich als Lehrer jedoch nur reagieren, wenn die Auswahl meiner Techniken und Materialien möglichst anspruchslos ist. Je einfacher oder alltäglicher die Materialien, desto sinnvoller. Natürlich gibt es Techniken wie z.B. Seidenmalerei oder Airbrushing, die beeindruckende und damit sicher allgemein als ästhetisch anerkannte Produkte möglich machen. Sie bedürfen jedoch eines gewissen Vorbereitungsaufwands - auch die Beschaffung der Materialien betreffend. Auf den finanziellen Aspekt sei hier ebenfalls hingewiesen. Aufwendigere Techniken sind oft auch mit teureren Materialien verbunden und schon dadurch nicht als alltäglich und jederzeit einsetzbare Techniken möglich.
Die Beschränkung auf schlichte Materialien und Techniken hat einen weiteren Vorteil. Man kann mit ihnen nicht nur jederzeit, sondern auch an jedem Ort arbeiten. Je weniger Geräte, Hilfsmittel oder Ausstattungen notwendig sind, desto leichter kann ich es in jedem (Klassen-) Zimmer und auch einmal ungeplant einsetzen.
Ein zweiter Hinweis ist mir wichtig. Es gibt eine Fülle verschiedener Möglichkeiten, bildnerisch tätig zu werden. Die Versuchung ist groß, jedes neu auf den Markt kommende Produkt sich auch für den Unterricht anzueignen. Es ist jedoch sinnvoll, statt einer Vielfalt verschiedener Materialien lieber die Vielfalt innerhalb weniger Materialien aufzubauen. Es gibt zum Beispiel Buntstifte, Wachsstifte, Filzstifte, Fettstifte, Ölkreiden, Aquarellstifte und viele mehr. Es kommt nicht drauf an, jede Spielart in einem eingeschränkten Farbsortiment zur Verfügung stellen zu können. Wichtiger ist es, die Art von Stiften, die zur Verfügung stehen, in einer großen Fülle von (Farb-)Varianten einsetzen zu können. Das Schöpfen aus einem Überfluss heraus erleichtert kreative Gestaltungsprozesse, die, getragen von den Impulsen des Materials, sich im Prozess selbst erst voll entwickeln. Lieber also auf zwei oder drei Möglichkeiten des Malens und Zeichnens verzichten, dafür aber die eingesetzten Materialien reich und mit vielen Abstufungen ausstatten. Als sinnvolle Mindestausstattung unseres Kunstangebots versteht sich folgende Auflistung:

Viele weitere Materialien sind reizvoll und im Sinne des Kunstangebots möglicherweise auch wünschenswert. Mit dem oben aufgezählten Material arbeiten wir in der Krankenhausschule, ohne das Gefühl von Verzicht oder Entbehrung zu haben. Erinnert sei nochmals an den Grundsatz. "Lieber wenig richtig, als viel nur halb anbieten". Mit der Wahl einfacher und alltäglicher Materialien wird zudem die Botschaft verstärkt, dass praktizierte Kunst in jedermanns Alltag einen Platz haben könnte und dass auch die Rehabilitanden nach Abschluss ihres Rehabilitationsaufenthaltes ohne Probleme an Erfahrungen aus dem Kunstangebot anknüpfen können.

 4.3. Die Ziele des Kunstangebots

Die Bandbreite der Unterrichtsziele orientiert sich an den Bedürfnissen der Rehabilitanden. Sie sind so vielfältig wie das Leistungsspektrum der Rehabilitanden des Jugendwerk Gailingen selbst. Die Ziele reichen wie schon erwähnt von Einzelförderung und dem Versuch, erste Erfolge und damit Zuversicht aufzubauen bis hin zu schulischer Förderung mit dem Schwerpunkt der lehrplanorientierten Wissensvermittlung. Im wesentlichen lassen sich sechs Felder ausmachen.

4.3.1. Entspannung und Aggressionsabbau

Immer wieder ist der Grund für die Eingruppierung von Rehabilitanden im Kunstangebot ihre fast verbissene Orientierung an einem optimalen und schnell erreichten Rehabilitationsergebnis. Sie wollen eine schnelle Rückkehr in ihre alte Welt erzwingen über die verinnerlichte Weisheit, dass Viel auch viel hilft. Sie halten daran fest, dass ihre Fortschritte um so größer sein werden, je mehr sie sich anstrengen und Einsatz bringen. Diese Haltung kann Therapieerfolge in allen Bereichen blockieren, da die Rehabilitanden regelmäßig über ihre momentan eingeschränkten Kräfte gehen und sich so über die Maßen erschöpfen.
"Im künstlerischen Prozess entfernt sich der Mensch von der alltäglichen Welt und gelangt in eine geheimnisvolle Welt voll Licht und Wärme, die Begeisterung auslöst. ... Das Malen geschieht mit Andacht und in Ruhe. Einerseits setzt man sich ab und versinkt, ist also ganz bei sich, andererseits wendet man sich gelöst und neugierig oder sogar anteilnehmend seiner Umwelt zu" (Szlosek 1997, 277).
Aufgabe des Kunstangebots ist das Aufbrechen einer übertriebenen "Ich-muss"-Haltung. Die Rehabilitanden sollen die entspannende Wirkung des Gestaltens erfahren. Sie sollen erfahren, dass Spaßhaben nicht destruktiv ist und Entspannen nicht kontraproduktiv. Das Wegführen von unbedingter Leistungsorientierung gelingt im Kunstangebot recht gut, da ja eigentlich kein Ergebnis objektiv falsch ist (siehe Kunstbegriff). Der Lehrer ist natürlich gefordert, durch das Vorschlagen geeigneter Themen auch Ergebnisse anzubahnen, die zudem allgemein Anerkennung finden können und so vom Rehabilitanden als gelungen akzeptiert werden.
Nahe bei diesen Motiven liegen Rehabilitanden, die Aggressionen gegen sich oder andere mit sich tragen und sich so nicht recht auf die eigentlichen Inhalte der verschiedenen Therapien einlassen können. Auch hier bietet das Kunstangebot Chancen für das Aufbrechen dieser Haltung. Die Möglichkeiten impulsiven Malens sind in unvorbereiteten Räumen mit Teppichböden deutlich eingeschränkt. Oft ist es aber schon die Größe des Bildes, welche entlasten kann. Das Befestigen von großen Papierbahnen an zugänglichen Wänden oder über die ganze Tafel ist nur eine Möglichkeit. Weitere Möglichkeiten bestehen in vielen aleatorischen Verfahren, bei denen zum Beispiel durch das Fallenlassen von Wasserfarbentropfen aus Höhen von ein bis zwei Metern auf ein Blatt zufällige und sehr dynamische Strukturen entstehen, die oft auch ästhetischen Reiz besitzen.
Das bildnerische Ausleben negativer Gefühle ist eine weitere Option des Kunstangebots. Schuster schreibt bezüglich der Kunsttherapie bei verhaltensgestörten Kindern, dass thematische Vorgaben aus Märchen es den Kindern ermöglichen, aggressive Phantasien, die aus ihrer eigenen Machtlosigkeit und aus der von ihnen empfundenen Ohnmacht erwachsen, ohne Schuldgefühle im Handlungsverlauf des Märchens stellvertretend als wirklich zu erleben. Er kommt zu dem Schluss, "dass Kinder die Gelegenheit brauchen, auch ihre negativen, zerstörerischen Phantasien auszudrücken und z.B. in der Zeichnung stellvertretend zu verwirklichen" (Schuster 1993, 84).

 4.3.2. Motivationsaufbau über erste Erfolge

Wie schon erwähnt nimmt der Aufbau von Motivation und Erfolgszuversicht einen breiten Raum im Kunstangebot ein. Ich möchte an dieser Stelle lediglich den "Knack"-Punkt dieses Unterrichtszieles etwas herausarbeiten. Dieses Unterrichtsziel wird um so eher erreicht, je besser es dem Lehrer gelingt, durch die richtige Wahl von Thema und Technik die Anteile des Rehabilitanden am fertigen Produkt möglichst groß zu machen und je breiter die positive Reaktion im Sinne von sozialer Anerkennung auf das gestaltete Produkt ist. Kurz gesagt geht es darum, wie ich mich als Lehrer einbringe (Lehrerrolle) und was mit dem Bild nach der Fertigstellung geschieht (Präsentation). Auf beide Punkte gehe ich ihrer zentralen Bedeutung wegen gesondert ein.
Die richtige Wahl von Thema und Technik ist letztlich eine Frage des Geschicks, der Erfahrung und des Einfühlungsvermögens des Lehrers und nicht einfach so vermittelbar. Berücksichtigt man aber, dass der Spielraum besteht, den Vorstellungen und Ideen des Rehabilitanden im Sinne nichtdirektiver Begleitung zu folgen, so erscheint diese Aufgabe durchaus lösbar.  

4.3.3. Malen als nonverbale Ausdrucksmöglichkeit

Die Chance, Aphasikern und schweren Dysarthrikern mit dem bildhaften Gestalten nonverbale Ausdrucksmöglichkeiten für die Realisierung differenzierterer Aussagen zur Verfügung zu stellen, ist weiter oben schon angesprochen worden. Daher sei hier nur noch auf einen Aspekt hingewiesen, der sich aus der Charakteristik der Schädel-Hirn-Traumen ergibt. Meist ergeben sich Aphasien nach Verletzungen der linken, in der Regel sprachdominanten Hemisphäre. Dabei wird die Willkürmotorik der rechten Körperhälfte - angesiedelt ebenfalls links und unweit der Sprachzentren (v.a. Broca-Region) - oft mitbetroffen. Zu beobachten ist daher häufig das gemeinsame Auftreten einer (motorischen) Aphasie zusammen mit einer Hemiplegie der rechten Extremitäten. Damit sind für den Rehabilitanden sowohl der klare sprachliche Ausdruck als auch das Schreiben und Zeichnen mit seiner starken Hand zunächst deutlich beeinträchtigt. Oft ist es also für einen Aphasiker gar nicht so einfach, sich nun ersatzweise auch bildlich mitzuteilen. Die linke Hand ist ungeschickt, das Malen mit ihr oft mit Frustrationen verbunden.
Von großem Nutzen sind hier die verschiedenen Collagetechniken, bei denen der Lehrer im Falle motorischer Beeinträchtigungen aushelfen kann, ohne mitzugestalten. Auch sind für die Arbeitsanweisungen an den Helfer seitens des Rehabilitanden keine sprachlichen Kompetenzen notwendig; es genügt im Prinzip das Deuten mit der gesunden Hand. Unerlässlich ist jedoch eine große Vielfalt der zur Verfügung gestellten Bilder und Vorlagen, um auch wirklich Bildaussagen zu ermöglichen, die das Mitteilungsinteresse des Rehabilitanden treffen. Auch hier ist, wie bei den allgemeinen Materialien schon erwähnt, Überfluss zwingend notwendig, um die eigentlichen Unterrichtsziele zu erreichen. Um nun nicht all zu viel Zeit mit dem Durchblättern von Stößen von Illustrierten zu verbrauchen und Motivationen dadurch verpuffen zu lassen, sollten die Materialien durch den Lehrer schon durchforstet und vorsortiert sein. Der Rehabilitand bekommt dann verschiedene Mappen zur Verfügung gestellt, die sich an weiten Kategorien orientieren (z.B.: Menschen, Tiere, Landschaften, Technik, Häuser, etc.)
Bildhaftes Gestalten als Ausdrucksmittel ist aber nicht nur sinnvoll, wenn man nicht reden kann, sondern auch, wenn man nicht reden will. Reden bedeutet, einem Gesprächspartner gegenüber zu sitzen, der fragt und zuhört. Man muss sofort reagieren, vielleicht Rede und Antwort stehen. Künstlerisches Gestalten bedeutet dagegen alleine mit sich, der Idee und den Materialien zu sein. Man muss sich weder auf ein soziales Gegenüber einlassen noch riskiert man unangenehme Fragen oder Vorhaltungen. Malen kann hier ein erstes Ventil sein, um Spannungen zu entlasten. Es kann aber auch - ganz im Sinne der Kunsttherapie - Redeanlässe zur Klärung der Spannungen oder Konflikte bieten.

 4.3.4. Training neuropsychologischer Teilleistungen

Vreni Schweizer nannte bei einem 1994 im Jugendwerk Gailingen gehaltenen Vortag über Neuropsychologisches Training zehn neuropsychologische Modalitäten und bezog sich dabei auf Poeck und Bonmot:

Die meisten der hier genannten Modalitäten werden beim Gestalten künstlerischer Arbeiten berührt. Die im Kunstangebot der Krankenhausschule bearbeiteten Inhalte erfordern neben der Kreativität vor allem das Planen, Strukturieren und Systematisieren der eigenen Arbeitsschritte. Neben dem Gedächtnis ist die Wahrnehmung räumlicher Zusammenhänge notwendig. Beispielsweise basieren geometrische oder abstrakte Bildideen oft auf einem Gestaltungsprinzip, welches während der ganzen gestalterischen Arbeitszeit am Bild durchgehalten werden muss. Gemeint sind z.B. regelmäßiges Abwechseln bestimmter Elemente wie Farben oder Formen, das abwechselnde Drüber und Drunter beim Weben mit Papierstreifen oder aber auch das ständige Präsenthalten von Konstruktionshilfen wie Fluchtpunkten in perspektivischen Zeichnungen. Neuropsychologische Teilleistungen sind auch hier gefragt (Strukturierungs- und Planungsfähigkeit, aber auch Gedächtnisleistungen und verschiedene Wahrnehmungsdimensionen). Förderdiagnostik lässt sich hier besonders eindrucksvoll umsetzen, werden doch während der Arbeit die vorhandenen Leistungsdefizite offenkundig. "Besonders deutlich lassen sich auf der bildnerischen Ebene Störungen des Gesichtsfeldes und der visuellen Wahrnehmung erkennen, die sich vielfach in veränderter Formatgestaltung mit Aussparungen der nicht wahrgenommenen Bildhälfte dokumentieren" (Lippert-Grüner/Quester 1996, 4). In vielfältiger Weise lassen sich die Gestaltungsprinzipien vereinfachen oder abkürzen, um so auf während der Arbeit erkannte Defizite zu reagieren. Neue thematische Schwerpunkte werden auf diesem Weg für die künftigen Stunden deutlich.
Schweizer (1994) legt ihrem Neuropsychologischen Trainingsprogramm Prinzipien zu Grunde, die auch im Kunstangebot der Krankenhausschule maßgebend sind. Sie hält es beispielsweise für wichtig, möglichst ganzheitlich vorzugehen. Die verschiedenen neuropsychologischen Funktionen sollten miteinander kombiniert werden, die Übungen mit Wissen und Assoziationen der Patienten verbunden sein. Sie fordert weiter das Einbeziehen von Logik, also Umstellungen im Sinne eines beweglichen Denkens. Grundsätzlich sollte immer mit den guten, nicht beeinträchtigten Funktionen begonnen werden. Auch im Verlauf der Therapie sollten diese immer mit in das Training reduzierter Dimensionen einbezogen sein. Allgemein sollte nicht so sehr das Übungsresultat als mehr der Weg zum Resultat bewertet werden. Einige ihrer Grundprinzipien seien hier aufgezählt.

Die Förderung neuropsychologischer Teilleistungsstörungen lässt sich kaum zwangloser verwirklichen als in einem Unterrichtsangebot, in dem künstlerisches Gestalten im Mittelpunkt steht. Sie ist daher auch ein wesentlicher Aspekt des Kunstangebots der Krankenhausschule.

 4.3.5. Selbständigkeit und das Training motorischer Fertigkeiten

Es leuchtet ein, dass der Wille, es selbst zu schaffen, eine der wichtigsten Triebfedern für das Arbeiten an motorischen Handicaps ist. Diese Motivation lässt sich im Bereich der künstlerischen Gestaltungen recht einfach aufbauen, da Erfolge wahrscheinlich und daher als erreichbar erkannt werden. Der Umgang, mit Scheren, Stiften und Linealen ist mit spastischen, ataktischen oder plegischen Händen sicher mühsam und oft frustrierend. Bei entsprechender Anleitung aber und den notwendigen Anpassungen (Linkshänderscheren, selbstöffnende oder stehende Scheren, schwere Lineale, Stiftverdickungen, rutschfeste Unterlagen, u.v.m.) ist oft erstaunlich viel eigenes Tun für die Rehabilitanden möglich. Eingeübt werden kann in diesem Zusammenhang auch das räumliche Anordnen der Materialien auf dem Tisch. Oft gelingt das Schneiden mit der Schere mit nur einer Hand nur deshalb nicht, weil das Blatt nicht die richtige Orientierung zur arbeitenden Hand hat. Das Bedürfnis, in der Dynamik ihres gestalterischen Prozesses unabhängig zu sein von der Verfügbarkeit der Helfer, weckt immer wieder erst den Ehrgeiz mancher Rehabilitanden, die sich sonst gerne bedienen lassen, obwohl sie selbst wesentlich mehr könnten.
Selbständigkeit auch im weiteren Sinne kann durch künstlerisches Gestalten angestoßen werden. Gemeint ist die Selbständigkeit in der Gestaltung der Bilder, in der Verwirklichung von individuellen Ideen und Zielen, die sich als Haltung manifestieren kann und dann auch über das eigentliche Kunstangebot hinaus wirkt. Schusters Wirkungsannahme Nummer 1 der Kunsttherapie lautete: Kunsttherapie stimuliert die Kreativität und wirkt so auf die "relative" Kreativität der Lebensführung. Dies wird auch von Ärzten bestätigt. Über 90% der Patienten des neurochirurgischen Rehabilitationszentrum der Universität Köln nutzten die Möglichkeit der angebotenen Kunsttherapie. Sie berichteten nach Abschluss der Rehabilitation, dass der kreative Schaffensprozess einen individuellen Freiraum schuf, der die Selbständigkeit förderte (Quester/Lippert-Grüner 1996, 2).

 4.3.6. Talentförderung und Wissensvermittlung

Wie schon erwähnt, hat das Kunstangebot auch die Aufgabe, die (regel-)schulische Rolle von Kunstunterricht zu übernehmen. Die Orientierung an den Lehr- und Bildungsplänen der einzelnen Bundesländer versteht sich hier von selbst. Dies gibt im Besonderen für die Gruppen, die sich alljährlich auf den Hauptschulabschluss vorbereiten.
Immer wieder sind jedoch künstlerisch begabte Rehabilitanden im Jugendwerk Gailingen, bei denen die Möglichkeiten des Kunstangebot aus Sicht des Gesamtkonzeptes ihrer Rehabilitation nicht vorrangig erscheinen. Kunst spielt jedoch in ihrem Leben eine besondere Rolle und auf ihren Wunsch hin wird ihnen nach Möglichkeit ebenfalls ein schulisches Kunstangebot gemacht. Dies kann als Talentförderung verstanden werden, in der die inhaltlichen Schwerpunkte der Rehabilitand selbst setzen kann. Oft werden in diesen Stunden individuelle Spezialthemen gewählt, besondere und für den Rehabilitanden neue Techniken oder Verfahren vorgestellt oder auch kunsthistorische Exkurse durchgeführt. Hintergrund ist hier die Chance, dem Rehabilitanden das Gefühl zu geben, wichtige Bereiche seiner Selbst kommen auch während der Rehabilitationsmaßnahme nicht zu kurz. Die Akzeptanz des oft vielmonatigen Aufenthaltes im Rehabilitationszentrum ist dann wesentlich größer.

5. Präsentationen

Bevor die einzelnen Möglichkeiten der Präsentation dargestellt werden, möchte ich kurz begründen, warum das Suchen von Öffentlichkeit kein mögliches Anhängsel, sondern ein zentraler Faktor in der Konzeption des Kunstangebots ist.

5.1. Das positive Selbstkonzept

Ein positiv geprägtes Selbstkonzept und die damit verbundene Erfolgszuversicht spielt wie schon erwähnt eine Schlüsselrolle in der Bewältigung von Daseinskrisen wie den Folgen schwerer Schädel-Hirn-Verletzungen. Neubauer sieht in dem Begriff des Selbstkonzepts einen Sammelbegriff für eine Vielzahl von Konzepten bezüglich der eigenen Person, die mehr oder weniger aufeinander bezogen sind. Dieses System von Konzepten entsteht erst relativ spät in der individuellen Entwicklung aus zunächst mehr oder weniger isoliert voneinander erworbenen, recht unterschiedlichen Konzepten. Diese dann entstandene "kognitive Repräsentation der eigenen Person" (Neubauer 1976, 36) umfasst all jene gespeicherten Informationen, die sich in Relation zur eigenen Person in den mannigfaltigsten Erfahrungsbereichen ergeben haben, insbesondere Informationen über den eigenen Körper, über eigene Fähigkeiten und Kenntnisse, über eigene Besitztümer, über eigene Verhaltensweisen, aber auch über die relative Wertschätzung jener Gegebenheiten innerhalb der individuell verfügbaren diversen Bezugssysteme. Diese Maßstäbe der Wertschätzung werden vom einzelnen unwillkürlich von seiner sozialen Umgebung übernommen. Baus/Jacoby meinen daher überspitzt sagen zu können, dass wir das sind, "was andere aus uns machen" (1976, 157).
Das Selbstkonzept baut sich also auf aus einer Vielzahl von individuell bewerteten Informationen. Es liefert unmittelbar die benötigten Daten über die eigene Existenz und deren Wertigkeit, so dass unter gewohnten bzw. invarianten Bedingungen in ökonomischer Weise direkt auf das Selbstkonzept Bezug genommen werden kann. Probleme treten dann auf, wenn als Folge veränderter relevanter Situationsbedingungen eine Identitätsgefährdung auftritt oder aber wenn kein stabiles Selbstkonzept entwickelt werden konnte.
Mit einem positiven Selbstkonzept fühlt sich der Einzelne als stark. Er ist in der Lage, Misserfolge wegzustecken und sich künftigen Aufgaben und Forderungen seiner Umwelt gewachsen zu sehen. Der Träger eines positiven Selbstkonzepts empfindet sich als autark und als Verursacher seines Handelns. Dieses Handeln ist am Erfolg orientiert. Diese wechselseitige Bedingtheit von Selbstkonzept und Umweltkonzept, wie sie Maslow und Mittelmann 1951 anzeigten, hat natürlich auch die Konsequenz, dass jemand mit negativ gefärbtem Selbstkonzept seine Umwelt als übermächtig empfindet. Er fühlt sich dem Schicksal ausgeliefert und wird das Misslingen der eigenen Handlungen erwarten. Mechanismen der sich selbst erfüllenden Prophezeiung kommen hier dann zum Tragen.
Die Bewertungen der eigenen Leistungen werden nur dann in das Selbstkonzept integriert, wenn sie von sozial relevanter Seite geäußert werden. Das Lob eines x-beliebigen Fremden hat hier weit weniger Bedeutung als Anerkennung von Eltern, Freunden, oder anderen Personen, die eng mit der momentanen Lebenssituation verbunden sind. Diese Anerkennung der gestalteten Kunstwerke von sozial relevanter Seite ist auch für die motivierende und psychisch stabilisierende Wirkung des Kunstangebot von zentraler Bedeutung. Parallelen zu der Projekt-Methode der Reformpädagogik werden deutlich, in der ebenfalls unterstrichen wird, dass sich die Bemühungen der Schüler in ihrer tatsächlichen Lebenswirklichkeit auswirken müssen. Dazu müssen die Kunstwerke jedoch einer - möglichst sozial relevanten - Öffentlichkeit zugänglich gemacht und von dieser auch wahrgenommen werden.

5.2. Geschenke für Zuhause

Die größte soziale Relevanz besitzt für Kinder und Jugendliche - vor allem in gesundheitlichen Krisensituationen - der Kreis der Familie und hier vor allem die Eltern. Der Wunsch, gelungene Gestaltungen den Eltern schenken zu wollen, wird von den Rehabilitanden auch immer wieder spontan geäußert. Dies wird immer auch der erste Vorschlag des Lehrers sein, wenn ein Kunstwerk fertig geworden ist. Anlässe wie Geburtstage, Feste oder Feiertage lassen sich reichlich finden.
 

5.3. Die Treppenhaus-Galerie der Rehabilitanden

In einem der größten Gebäudekomplexe des Jugendwerk Gailingen sind im ersten Stockwerk 15 der insgesamt 23 Unterrichtsräume der Krankenhausschule untergebracht. Im zweiten Stock befinden sich die Räume der Ärzte. Durch große Fenster wirkt das Treppenhaus dieses Gebäudes sehr hell und freundlich. Die Seitenwände bieten Platz für insgesamt 21 schwarz gefasste Wechselrahmen des Formats 50 x 70 cm.
Die Kunstwerke, die im Kunstangebot entstehen, sind natürlich persönlicher Besitz der Rehabilitanden. Sprechen Bild und Umstände seines Entstehens für die Präsentation in der Treppenhaus-Galerie, so bitte ich als Lehrer die Rehabilitanden um die Leihgabe ihrer Arbeit. Es bleibt dann ihre Entscheidung, ob und wie lange es ausgestellt werden soll. Oft spielt die Frage eine große Rolle, ob ihr Name auf dem Bild notiert sein soll oder nicht. Auch die Platzierung ihres Bildes ist von großer Bedeutung. Fast alle Rehabilitanden bestehen auf das Ausstellen ihrer Bilder im unteren Teil der Treppe zwischen Erdgeschoss und erstem Stock. Dies ist der "Schulweg" fast aller Rehabilitanden (ca. 90% der Rehabilitanden des Jugendwerk Gailingen werden beschult). Dort ist sichergestellt, dass die Bilder von den (sozial relevanten) Zimmer- oder Bettenhausgenossen der Rehabilitanden gesehen werden. Der Weg zu den Ärzten eine Treppe weiter wird von den Rehabilitanden wesentlich seltener genommen. Immer wieder möchten die Kunstschaffenden aber, dass genau dort ihre Bilder gehängt werden. Die Motive hierfür liegen oft auf der Hand. Der Arzt entscheidet letztlich, wie - und vor allem auch wie lange - die Rehabilitationsmaßnahme weiter läuft. Diese Rehabilitanden fühlen sich von diesen Entscheidungsträgern möglicherweise in ihrer Leistungsfähigkeit verkannt und wollen durch die Präsentation ihrer Erfolge positiv Einfluss nehmen.
Das Hängen der Kunstwerke der Rehabilitanden im Treppenhaus hat natürlich den Nachteil, dass Rollstuhlfahrer sie nur von den Treppenabsätzen aus betrachten können. Sind die Kunstschaffenden selbst auf Rollstuhl oder Rollator angewiesen, so hängen wir ihre Werke an den Treppenabsätzen. An diesen Plätzen können auch sie vor ihr Bild hinfahren und vor allem auch die Reaktionen der Betrachter beobachten.
Jeder wird schon die Erfahrung gemacht haben, dass ein guter Rahmen die Wirkung eines Bildes oder Photos wesentlich verbessert. Oft beginnt man etwas überhaupt erst zu schätzen in dem Moment, in dem es hinter Glas und gerahmt ist. Der Akt des Rahmens wird für sich schon verstanden als Bekundung von Wertschätzung als solcher. Aber auch die Art der Rahmen ist für unsere pädagogischen Zwecke nicht beliebig. Die durch Spangen gehaltenen rahmenlosen Bildhalter sind wegen der geringen Kosten sehr verbreitet, besitzen jedoch auch das Flair des Billigen und vermögen nicht in dem gewünschten Maß Wertschätzung zu symbolisieren. Die mit schwarzen Aluleisten gefassten Wechselrahmen der Treppenhaus-Galerie strahlen - vielleicht schon durch die Farbe Schwarz - etwas Würdevolles und Erhabenes aus. Immer wieder glauben Rehabilitanden es selbst nicht mehr so recht, dass sie dieses Bild gemalt haben, wenn es gerahmt seinen Platz im Treppenhaus gefunden hat.

5.4. Die PATZ

Die PATZ ist die "Patientenzeitung" der Rehabilitanden im Jugendwerk Gailingen. Sie erscheint viermal im Jahr und hat einen Umfang von zwischen 16 und 24 Seiten. Betreut wird dieses Projekt von Mitarbeitern verschiedener therapeutischer Bereiche (z.Z. sind dies der sozialpädagogische Dienst, die kaufmännische Berufstherapie, die Logopädie und die Krankenhausschule), welche die Strukturen für diese Zeitung schaffen, Beiträge sammeln, das Vervielfältigen und das Verteilen übernehmen. Die Inhalte sind im wesentlichen Text- und Bildbeiträge verschiedener Rehabilitanden, die sowohl während der Freizeit wie auch in Unterricht und Therapie entstanden sind.
Die PATZ wird in einer Auflage von ca. 200 Stück nur innerhalb des Rehabilitationszentrums verteilt. Mit 222 Betten und über 400 Mitarbeitern erreicht sie auch so eine relative Öffentlichkeit, die wie bei der Treppenhaus-Galerie für die Rehabilitanden besondere Relevanz besitzt. Diese eingeschränkte Öffentlichkeit reicht bei weitem aus, damit die PATZ ihren therapeutischen Nutzen entfalten kann.
Rehabilitanden des Kunstangebots können also ihre Gestaltungen nicht nur innerhalb der Treppenhaus-Galerie präsentieren, sondern auch als Beiträge in der PATZ. Das PATZ-Projekt ist unter anderem auch der Versuch, die positiven Motivationsmechanismen, die sich im Kunstangebot gezeigt haben, auf andere therapeutische Bereiche und Schulangebote zu übertragen. Auch im Deutschunterricht wirkt die Aussicht sehr motivierend, dass ein Aufsatz, eine Filmkritik oder ein Gedicht in der nächsten PATZ veröffentlicht wird. Es wird hier darauf geachtet, dass jedes Leistungsniveau seinen gleichberechtigten Platz in der Zeitung erhält. Ein einfacher Beitrag, vielleicht nur wenige Wörter lang, über Erlebtes wird genauso veröffentlicht wie ausgefeilte Texte von Rehabilitanden der Oberstufen-Gruppen. Entscheidend allein ist der Einsatz, den der Schreiber gebracht hat und die dadurch gerechtfertigte Anerkennung, die durch die Veröffentlichung erreicht wird.
So wird die PATZ zu einem Kaleidoskop der Themen und Niveaus. Jeder Rehabilitand, der darin seinen Beitrag mit seinem Namen wiederfindet, ist stolz. Dieser Erfolg gegenüber relevanten sozialen Bezugspersonen oder Gruppen wie Mitpatienten, Ärzten oder Eltern baut auf. Er motiviert für weitere Anstrengungen und stabilisiert die angeschlagene Psyche, in der Gefühle der Minderwertigkeit Raum greifen können.
Die PATZ hat sich wie die Treppenhaus-Galerie als sinnvolle Ergänzung, als Verlängerung des Therapie- oder Unterrichtsangebots nach außen, bewährt. Es ist eben doch motivierender ein konkretes Ziel, einen aus dem Lebensalltag geholten Zweck für seine Bemühungen vor Augen zu haben, als sich im Unterricht lediglich für die Ablage im Ordner und später im Altpapier anzustrengen.

5.5. Rezeptive Kunsttherapie - die junge Galerie

Nicht nur die Kunst der Rehabilitanden wird im Jugendwerk Gailingen präsentiert. Seit 1996 ermöglicht uns die Leitung des Rehabilitationszentrums das Ausstellen der Werke junger Nachwuchskünstler aus der Region im Eingangsbereich des Verwaltungsgebäudes. "Die Präsentation von Kunst im Krankenhaus ist heute keine Seltenheit mehr. Viele Kliniken statten ihrem Eingangsbereich mit Kunstwerken aus und arrangieren Ausstellungen" (Quester/Duckwitz 1996, 22). Das Jugendwerk Gailingen gibt an über 50 Metern Ausstellungswand jährlich vier jungen und engagierten Künstlern die Möglichkeit, sich ohne finanziellen Einsatz der Öffentlichkeit zu präsentieren und so wichtige Impulse für ihre weitere künstlerische Entwicklung zu erhalten. Kommerzielle Aspekte spielen dabei keine Rolle. Die Vernissagen der "jungen Galerie" sind gut besucht und werden von der lokalen Presse wohlwollend begleitet. Natürlich haben diese Ausstellungen eine positive Wirkung sowohl auf die Atmosphäre innerhalb der Einrichtung wie auch auf das Bild des Rehabilitationszentrums in der Öffentlichkeit. Viel wichtiger aber ist der therapeutische Nutzen dieser Ausstellungen, bei denen die allgemeine Öffentlichkeit, das lokale Kulturleben den Weg in die "Enklave" eines Rehabilitationszentrums findet.
Es ist uns daher wichtig, die Ausstellungseröffnungen zu einer Zeit zu feiern, zu der möglichst viele Rehabilitanden auch teilnehmen können. Dies ist in der Regel der frühe Mittwochabend. Für die Künstler ist dieser Termin, relativ früh und mitten in der Woche, eher ungünstig. Er ermöglicht es aber vielen Rehabilitanden, nach dem Abendessen und vor der eigentlichen Abendgestaltung dabei zu sein. Auch können so Rehabilitanden kommen, die über die Wochenenden nach Hause fahren. Die Programmpunkte der Vernissagen versuchen in Differenziertheit und zeitlicher Ausdehnung sowohl dem kunstinteressierten Publikum als auch den Rehabilitanden gerecht zu werden. Die ausgeschenkten Bowlen und auch der Sekt sind alkoholfrei.
Für die Rehabilitanden ist es ein aufbauendes Erlebnis, für diese Momente wieder mitten im richtigen Leben zu stehen, teilzuhaben an Ereignissen, die tags darauf in den Zeitungen besprochen werden. Mehr noch, sie werden von dem Ereignis aufgesucht, sind also gewissermaßen in der Rolle der Gastgeber. Auch dies ist eine Möglichkeit, Wertschätzung zu vermitteln. Dies ist jedoch nicht der einzige therapeutische Aspekt der Ausstellung von aktuellen Kunstwerken.
Quester/Duckwitz berichten von dem Chirurgen Professor Gerhard Heinrich Ott, der 1970 am Waldkrankenhaus in Bonn - Bad Godesberg ein Modellprojekt aufbaute, um die heilsame Wirkung von aktuellen Kunstwerken auf die Patienten genauer zu untersuchen. In Krankenzimmern, Fluren und Wartezimmern platzierte er Werke der modernen Kunst. "Ott teilte die von vielen anderen seit Jahrhunderten gemachten Erfahrungen, dass Kunst unterschiedliche Bereiche des Geistig-Seelischen im Menschen anspricht. Diese wortlose Kommunikation dient als Mittler zwischen Sichtbarem und Unsichtbarem, zwischen Bewusstem und Unbewusstem. Das Kunstwerk dient nach Ott dazu, "tiefen seelischen Empfindungen eine klarere Form zu geben". ... Im Waldkrankenhaus stellte Ott bei der Präsentation aktueller Kunst fest, dass die Patienten vielfach eine herabgesetzte Reizschwelle gegenüber Licht, Ton, Farben und Bewegung haben. Die in den Krankenzimmern platzierten Kunstwerke sollten daher nicht in grellen Farben, sondern eher monochrom und pastellfarben gehalten werden. Abstraktes und Geometrisches habe in der Motivwahl Vorrang gegenüber szenarischen Darstellungen, da es besonders die Phantasie des Kranken anrege. In Fluren und Warteräumen dagegen können nach Ott kritische und aktuelle Probleme analysierende Bildserien, auch Darstellungen von Tod, Angst oder Wut gewählt werden" (Quester/Duckwitz 1996, 19).
Die Rehabilitanden bekommen also die Chance, immer wieder neue bildhafte Auseinandersetzungen mit der Welt und ihren Facetten zu erleben, wie sie die oft gleichaltrigen jungen Künstler erlebt und verarbeitet haben. Dies kann wie erwähnt Impulse und Denkanstöße geben, welche den Rehabilitanden in ihrer schwierigen Situation auch weiter helfen können. Der Ausstellungsort ist so gewählt, dass er - unweit des Speisesaals - leicht aufzusuchen ist, dass er jedoch nicht zwangsläufig - wie die Treppenhaus-Galerie - beachtet werden muss. So ist das Angebot, aktuelle Kunst zu rezipieren, der Initiative und dem Bedürfnis jeden einzelnen Rehabilitanden überlassen.

6. Zwei Zitate als abschließende Notiz

Das Staatsinstitut für Schulpädagogik und Bildungsforschung in München schreibt in einer Veröffentlichung zum Thema Krankenhausschule: "Dem musischen Unterricht kommt in der Schule für Kranke hervorgehobene Bedeutung zu. Freude am musischen und kreativen Tun kann wesentlich zur Genesung beitragen. In der Erziehung zu schöpferischem Handeln und zu Phantasie liegt eine wertvolle Möglichkeit, dem Patienten Wege aus der oft anregungsarmen Atmosphäre des Krankenhauses zu erschließen und ihn von den bedrückenden körperlichen und seelischen Folgen der Krankheit zu entlasten. Besonders bei langfristig erkrankten und motorisch eingeschränkten Schülern bietet der musische Unterricht vielfältige Hilfen zur Überwindung von persönlicher Resignation und passivem Patientenverhalten. Im schöpferischen Tun entwickelt der Schüler Eigenaktivität und Lust am Entdecken und Probieren. Es werden Beobachtungen und Erfahrungen gemacht. Alle Sinne werden aktiviert. Die Freude am phantasievollen Gestalten ist zugleich Hilfe zur Bewältigung von Krankheit. Phantasie und Kreativität öffnen neue Wege, Gefühle und Ängste auszudrücken und zu verarbeiten. Das Selbstwertgefühl wird gestärkt, die Einstellung zur Krankheit verändert. Es werden Kräfte entwickelt, die den Heilungsprozess unterstützen. Die Förderung von Kreativität bei kranken Kindern und Jugendlichen schafft die Voraussetzung für gesteigerte Motivation zum Lernen. Durch selbständiges Denken und Tun, durch Aufgeschlossenheit, nach neuen Wegen zu suchen und Lösungen zu finden, erfährt der Patient Bestätigung und Anerkennung. Beziehungen zur Mitwelt und Kommunikationsfähigkeit werden verbessert" (1995, 62f).

Die Arbeitsgruppe am neurochirurgischen Rehabilitationszentrum der Universität Köln, die sich um den Einsatz der Kunsttherapie in der neurologischen Rehabilitation bemüht, schreibt: "Die deutsche Delegation der UNESCO, in Zusammenarbeit mit dem Institut für Bildung und Kultur in Remscheidt, ist bislang die einzige, übergeordnete Vereinigung, die versucht, die verschiedenen Projekte von "Kunst im Krankenhaus" zu erfassen und öffentlich zu machen. Regelmäßige internationale Kongresse finden seit 1988 zu "Arts in Hospital" statt. Dieser Begriff beinhaltet nicht nur die Präsentation von Kunstwerken, sondern jede Art von Kulturprogramm für Patienten. Eingeschlossen ist die Förderung der kreativen Fähigkeiten im Heilungsprozess durch Kunsttherapie auch im Sinn eigenständigen bildnerischen Gestaltens der Patienten. Dies ist heute vielfach in den psychiatrischen und gerontologischen Einrichtungen und teils in Tumorzentren institutionalisiert. In vielen Bereichen der Akutmedizin und der Rehabilitation, so auch bei neurologischen und neurochirurgischen Patienten, erfährt sie aber erst in Ansätzen einen Etablierungsprozeß." (Quester/Duckwitz 1996, 22)

 

Literatur

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BAUS, M. / JACOBY, K.: Sozialpsychologie der Schulklasse, Bochum, 1976
DUNCKER, Ludwig / GÖTZ, Bernd : Projektunterricht, Langenau-Ulm, 1984
FISCHER, Dieter: Kunst und geistige Behinderung - Widerspruch oder Schritte der Annäherung, Vortrag anlässlich der Ausstellung Sehweisen, Reutlingen, 1986
FREY, Karl: Die Projektmethode, Weinheim, 1984
HOLL, Sieglinde: Transparent und farbenfroh, Stuttgart, 1996
KAHLMANN, Irene: Patchwork und Quilt: moderne Muster und Techniken, Niedernhausen, 1995
KALISCHEWSKI, Wolfgang: Gemeinsam kreativ sein II, Mühlheim, 1992
KRAUS, Werner (Hrsg.) : Die Heilkraft des Malens, München, 1996
LIPPERT-GRÜNER, M / QUESTER, R.: Kunsttherapeutische Interventionen bei unterschiedlichen neurologisch-neurochirurgischen Defektsyndromen, in: Quester, R. / Lippert-Grüner, M.: Schädel-Hirn-Trauma , Kunsttherapie, Rehabilitation, Köln, 1996
MICROSOFT: Publisher Version 2.0 , 1996
NEUBAUER, W.: Selbstkonzept und Identität im Kindes- und Jugendalter, München, 1976
NEUMANN, Norbert-Ullrich : Kunst wirkt, auch therapeutisch - Anmerkungen eines Psychiaters, in : Kraus, Werner (Hrsg.) : Die Heilkraft des Malens, München, 1996
QUESTER, R. / DUCKWITZ, J.J.: Zur Bedeutung der Kunst in der Therapie, in: Quester,R. / Lippert-Grüner, M.: Schädel-Hirn-Trauma, Kunsttherapie, Rehabilitation, Köln, 1996
QUESTER, R. / LIPPERT-GRÜNER, M. : Entwicklung und Einsatz der Kunsttherapie in der Rehabilitation nach erworbenen Hirnschäden, in: Quester, R. / Lippert-Grüner, M.: Schädel-Hirn-Trauma, Kunsttherapie, Rehabilitation, Köln, 1996
RICHTER, Hans-Günther: Pädagogische Kunsttherapie, Düsseldorf, 1984
RINNINSLAND, Jörg: Das Selbstkonzept in seiner Abhängigkeit von Gruppen, Zulassungsarbeit der PH Reutlingen, 1984
SCHUSTER, Martin: Kunsttherapie - Die heilende Kraft des Gestaltens, Köln, 1993
SCHUSTER; Martin: Wodurch Bilder wirken - Psychologie der Kunst, Köln, 1997
SCHWEIZER, Vreni: Neuropsychologisches Training, Vortrag 1994 im Jugendwerk Gailingen
SMITH, Ray: Perspektive, Ravensburg, 1996
Staatsinstitut für Schulpädagogik und Bildungsforschung München: Die Schule für Kranke, Würzburg, 1995
STACHELHAUS, Heiner: Joseph Beuys, Düsseldorf, 1987
SZLOSEK, Sonja Lydia: Maltherapie mit geistig behinderten Jugendlichen, in : Zeitschrift für Heilpädagogik 7/97, S.276 -280
THOMAS, Christoph: "Ich kann nicht malen ..." Geschichte, Verfahren, Möglichkeiten und Grenzen der Kunsttherapie, in: KRAUS, Werner (Hrsg.) : Die Heilkraft des Malens, München, 1996
WICHELHAUS, B.: Heilpädagogische Kunsttherapie in der Rehabilitation, in: Quester, R. / Lippert-Grüner, M.: Schädel-Hirn-Trauma, Kunsttherapie, Rehabilitation, Köln, 1996

 






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